Am 14. April 2025 wurde der Glockenturm abgerissen.
Abriss der Wichernkirche
Januar 2024
Zweieinhalb Jahre nach der Sperrung der evangelischen Wichernkirche in Gießen Ost wird das Gebäude nun abgerissen. Ab 8. Januar werden die Glocken abgebaut. Am Abend zuvor, am 7. Januar, 18 Uhr, wird zu einer letzten Andacht vor der Kirche eingeladen. Im sechzigsten Jahr nach ihrer Einweihung gehört die Wichernkirche am Philosophenwald bald der Vergangenheit an.
Anfang November fährt Brita Ratzel der Schreck in die Glieder. In Kassel ist das Dach der Elisabethkirche auf ganzer Länge eingestürzt, hört sie im Radio. Gottseidank kommt kein Mensch ums Leben. Der stellvertretende Kirchenvorstandsvorsitzenden der Gießener Wicherngemeinde schießt es durch den Kopf: Was hätte Gottesdienstbesuchern in der Wichernkirche passieren können; bei einem Herbststurm, bei schwerem Regen oder drückender Schneelast auf dem maroden Dach? Die Dachkonstruktionen der eingestürzten Kirche in Kassel und die der Wichernkirche ähnelten sich. Erst zwei Jahre zuvor war die Wichernkirche wegen Einsturzgefahr gesperrt worden.
Wichernkirche prägte das Wohnviertel
Brita Ratzel blickt heute auf eineinhalb schmerzhafte Jahre voller Hoffnung und Kontroversen in der Gemeinde zurück. Schließlich fiel die Entscheidung zum Verkauf der Kirche. Ein Abschied auf Raten begann. Für zwei Generationen evangelischer Christen war sie eine geistliche Heimat. Auch für nicht der Gemeinde angehörende Anwohner am Philosophenwald und im Evangelischen Viertel prägte das vertraute Gebäude die Identität des Wohnquartiers.
Wasser drang durch das Dach in die Kirche
Was nur die wenigsten wussten, seit vielen Jahren drang Wasser durch das Dach in die Kirche ein und hatte vor allem im Dach Schäden hervorgerufen. Im Juli 2021 griff die kirchliche Bauaufsicht zum Äußersten. Gottesdienste durften in dem Gebäude nicht mehr gefeiert werden, erzählt Brita Ratzel. Die Kirche wollte kein Risiko eingehen. Gewarnt war man vom Einsturz der Eislaufhalle in Bad Reichenhall, deren Dach 2006 der Last von Schnee nicht standhielt und Menschen unter sich begraben hatte.
Wo sollte die Gemeinde nun Gottesdienste feiern? Gastfreundschaft bewiesen rasch die katholischen Nachbarn der nahen Kirche St. Thomas Morus. Regelmäßig werden dort Wichern-Gottesdienste gefeiert. Zwei Pfarrerinnen, Wiebke Eßbach und Janina Franz, sind inzwischen unter dem Dach der Katholiken in ihr evangelisches Amt in Gießen Ost eingeführt worden.
Tränen der Trauer und der Wut
Über Monate flossen in der Wicherngemeinde Tränen der Trauer, bei manchen auch Tränen der Wut über „die Abwicklung der Kirche“, erinnert sich Brita Ratzel. Den Kirchenvorstand stellte die Entscheidung vor eine Zerreißprobe. Wenigstens standen die Verantwortlichen nicht allein mit dem baulichen Problem da. Seit 2020 gehörtern die benachbarten Gemeinden Andreas, Luther und Wichern zu einem sogenannten „Kooperationsraum“. Seit dem 1. Januar 2024 bilden sie die neue Evangelische Gesamtkirchengemeinde Gießen Ost. Das gemeinsame Gemeindebüro befindet sich seit geraumer Zeit schon am Lutherberg 1.
Reparatur des Kirchendachs war nicht zu finanzieren und zu verantworten
Im ersten Schritt wurde im Februar 2022 das Gemeindehaus und der baulich darin integrierte Glockenturm verkauft. Das Gießener Bauunternehmen Depant wollte das Grundstück für die Erweiterung des angrenzenden Neubaugebiets Philosophenhöhe auf dem ehemaligen Motorpool-Areal der US-Army. Schließlich fiel im Sommer 2022 die Entscheidung zum Verkauf auch der Kirche. „Wir hätten die Reparatur des Kirchendaches weder finanzieren noch langfristig verantworten können“, sagt Brita Ratzel traurig. Gebäudedämmung und Heizungsanlage entsprechen nicht den heutigen Anforderungen an den Klimaschutz.
Stellen musste sich die Gemeinde auch dem gesellschaftlichen und kirchlichen Wandel. In den Sechzigern, den Baby-Boomer-Jahren, wuchsen Gesellschaft, Wirtschaft und die Kirche noch. „Doch seit zehn Jahren sind die Mitgliederzahlen stark rückläufig“, erklärt Brita Ratzel. „Unsere Aufgabe als Kirche ist es, Gottesdienste zu feiern, aber auch für Menschen da zu sein, und je weniger Zeit und Geld wir künftig in Gebäude stecken müssen, umso mehr bleibt für soziale und seelsorgerliche Aufgaben.“
Stück für Stück wurde aus der Kirche getragen
Zunächst wurden Einrichtungsgegenstände aus dem Gemeindehaus verkauft oder an andere kirchliche und gemeinnützige Einrichtungen verschenkt. Seit dem Sommer 2023 trugen dann Ehrenamtliche wie Brita Ratzel zusammen mit der neuen Pfarrerin Janina Franz Stück für Stück aus der Kirche heraus. „So viel wie möglich wollten wir bewahren und die Wichernkirche auf diese Weise in der Erinnerung weiterleben lassen“, erzählt die junge Seelsorgerin.
Chronik
1961
Planungswettbewerb für eine Kirche zwischen Philosophenwald und Motorpool-Gelände der US-Army im Osten der Stadt
1963
Baubeginn (April) und Grundsteinlegung (August) am Straßendreieck Trieb, Lincoln Street und Jefferson Street (heute Fröbelstraße)
1964
Einweihung (1. Advent)
1965
Selbständigkeit der Ev. Wicherngemeinde, bis dahin „Baugemeinde“ der Ev. Luthergemeinde
1979
Orgelweihe (30. September)
2021
Bauaufsichtliche Sperrung der Kirche (August)
2022
Verkauf des Grundstücks mit Gemeindehaus, Turm, und der Kirche
2024
Abriss der Wichernkirche
Das Altarkreuz lagert jetzt im Gemeindehaus Lutherberg. Die Abendmahlskelche verwendet sie bei den Gottesdiensten in Sankt Thomas Morus. Das große Bild von Antonie Bitsch aus dem Altarraum wurde den Erben der Malerin zurückgegeben. Die Paramente, also die Textilien auf dem Altar und an der Kanzel, gingen zurück an diejenigen, die sie vor vielen Jahren gewebt hatten. Den Altar werden die Ev. Kirchengemeinden Annerod und Oppenrod künftig nutzen.
Einen Erinnerungsort wird auch das Taufbecken in der Außenanlage des im Lauf der Jahrzehnte eng mit dem der Gemeinde verbundenen AWO-Seniorenheims „Albert-Osswald-Haus“ finden. Die Bänke wurden an Berufsschulen zur Weiterverarbeitung gegeben und die Sitzpolster an Kitas.
Das Oberhessische Museum übernahm Erinnerungsobjekte
Gerne nahm das Oberhessische Museum ein Gemälde, einen typischen Klappstuhl mit Fach für das Gesangbuch sowie ein Modell der Wichernkirche. An einem der bunten Betonglasfenster hat das Stadtmuseum ebenfalls Interesse. Künftig wird dort verstärkt Alltagsgeschichte und die Veränderung des Stadtbilds präsentiert. Zur Gießener Nachkriegsgeschichte gehört die Wichernkirche wie der weithin sichtbare Glockenturm, so die Museumsmitarbeiterin, Dr. Julia Schopferer. Für Menschen, die dort getauft, konfirmiert oder getraut wurden, bleibt die Kirche ein Erinnerungsort. „Besser kann man sich doch zukünftig nicht erinnern und ein Gebäude erfassen als durch ein Modell, das man von allen Seiten betrachten kann“, freut sich Schopferer.
Die drei Glocken, die sechs Jahrzehnte zum Gebet und zum Gottesdienst geläutet haben, werden ab dem 8. Januar im Inneren des Turms abgelassen, auf einen LKW verladen und sicher verwahrt. Interessenten für gebrauchte Glocken im In- und Ausland finden sie dann im Internet. Allerdings soll die kleinste der drei Glocken, die bereits vor dem Bau der Kirche in einem Turm vor dem Pfarrhaus läutete, in der Gemeinde verbleiben. Beim Verkauf der beiden großen Glocken wird die Gemeinde von zwei Experten aus dem Raum Hannover unterstützt, die in ihrer Online-Glockenbörse schon viele Glocken vermittelt haben.
Orgel geht in die nahe Sankt Thomas Morus-Kirche
Auch die Orgel wird weiter genutzt, sogar in unmittelbarer Nachbarschaft. Dem katholischen Regionalkantor Martin Gilles gelang es Verantwortliche zu überzeugen, die voll funktionsfähige Orgel der Firma Streichert-Hofbauer in die Kapelle der Sankt Thomas Morus Kirche zu übernehmen. In den nächsten Tagen beginnt der Umzug. „Künftig wird es als Übungsinstrument für die kirchenmusikalische Ausbildung und für die Begleitung der Gottesdienste durch eine authentische Pfeifenorgel genutzt werden“, so Gilles. 1979 von Mitarbeitenden der Wicherngemeinde selbst zusammengebaut, hat die in ihrer Art als einzig fachlich abgenommene Bausatzorgel also nicht nur einen historischen Wert.
Abriss der Kirche
Anfang Februar wird es ernst. Für den Geschäftsführer von Depant, Kai Bülow, ist der Abriss auch kein alltäglicher Schritt - allerdings weniger aus technischen Gründen. „Leichten Herzens reißen wir die Kirche nicht ab; lieber haben wir in der Vergangenheit welche gebaut“, sagt Bülow, der sich selbst in einer christlichen Gemeinde engagiert. Ohnehin sei geboten, den Abriss mit Bedacht vorzunehmen. „Weil Kirche und der gut 25 Meter hohe Turm unmittelbar an der Straße stehen, werden die Gebäude voraussichtlich mit einem ausfahrbaren Greifbagger von oben nach unten in Bruchstücken herausgegriffen“ , erklärt er das Vorgehen.
Dabei werden wiederwertbare Materialien gesichert, etwa gut erhaltenes Holz, Naturstein oder Metall. Hierum bemüht sich Depant im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Auch die sieben Meter hohen Buntglasfenster sollen, so der Wunsch Bülows, einen Abnehmer finden. Und vielleicht werden die Bauherren der drei geplanten Wohn- und Geschäftsgebäude auf dem Areal der heutigen Kirche eine bleibende Erinnerung in die Außenanlage des neuen Gebäudekomplexes integrieren können. Im Gespräch ist beispielsweise der Metallbeschlag der Eingangstüren, die den Barmherzigen Samariter zeigen. „Wir halten den Lauf der Zeit damit nicht auf, können aber eine Erinnerung schaffen“, sagt Bülow.
Am 30. April 2024 wurde die Wichernkirche abgerissen.
Glocken der Wichernkirche gesichert

Januar 2024
Die drei Glocken der Wichernkirche sind am Freitag, 12. Januar, abtransportiert worden. Demnächst werden sie in einer Glockenbörse im Internet zum Verkauf und zur Weiternutzung europaweit angeboten.
Mitarbeiter der Glocken- und Kunstgießerei Rincker aus Sinn, von der die Glocken der vor 60 Jahren am Philosophenwald eingeweihten Kirche gegossen wurden, ließen sie in den vergangenen Tagen an langen Ketten im Turm herab. Die größte der drei Glocken wiegt rund 400 kg.
Am Freitag wurden sie mit Hilfe eines Krans aus dem Glockenturm durch Monteure der Firma Rincker auf einen Transporter gehoben. Der LKW der Firma Scheld-Baukeramik war vom einem Gemeindemitglied der Gesamtkirchengemeinde Gießen Ost zur Verfügung gestellt worden.
Wicherngemeinde verkauft Kirche
März 2023
Das Gemeindehaus und der baulich darin integrierte Turm der Evangelischen Wichernkirche im Gießener Osten sind bereits verkauft, nun trennt sich die Gemeinde auch von der seit August 2021 wegen Einsturzgefahr des Daches gesperrten Kirche und wird sie verkaufen.
Das hat der Kirchenvorstand beschlossen und den Gemeindemitgliedern in einem Brief mitgeteilt. Wann sich die Wicherngemeinde von der 1963 eingeweihten Kirche, Trieb 2, verabschiedet und wann das gesamte Bauensemble abgetragen wird, ist noch offen. Die Gemeindemitglieder sind für den 19. März zur Gemeindeversammlung eingeladen.
„Es hat viele Tränen gegeben“
Die einstimmig getroffene Entscheidung, mit der die Verantwortlichen seit eineinhalb Jahren gerungen haben, sei sehr schwer gefallen und „es hat viele Tränen gegeben“, schreiben die stellvertretende Kirchenvorstandsvorsitzende, Brita Ratzel, und Pfarrerin Sonja Lötynoja. „Wir haben alle Argumente vorwärts und rückwärts geprüft, in etlichen Gesprächen mit dem Evangelischen Dekanat Gießen. Wir haben mit Baufachleuten und Finanzexperten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) verschiedenste Szenarien berechnet.“ In einem durch externe Experten moderierten mehrmonatigen Entscheidungsprozess habe man sich gemeinsam mit den beiden Nachbargemeinden Andreas und Luther zu diesem Entschluss durchgerungen. Die Gemeinden bilden im Gießener Osten einen sogenannten Kooperationsraum.
Sanierung nicht bezahlbar
Mit dem geplanten Verkauf der Kirche reagiert die Gemeinde auf den Bauzustand des Gebäudes. Bei Starkregen musste in der Vergangenheit bereits die Orgel mit Folie abgedeckt werden, da Regenwasser durch die Decke und an den Innenwänden hinab lief. Nach verschiedenen Schätzungen würde alleine die Sanierung des Daches zwischen einer und zwei Millionen Euro kosten. Trotz des Erlöses aus dem Verkauf des Gemeindehauses wäre die Gemeinde gezwungen, hohe Darlehen aufzunehmen. „Wir können daher die Sanierung des Kirchendaches nicht finanzieren und auch nicht verantworten. Denn auch nach diesem ersten Sanierungsschritt wäre unsere Kirche immer noch ein energetisch ungedämmtes Gebäude, das heutigen Anforderungen nicht mehr entspricht, auch was Heizung und Toilettenanlage im Untergeschoß betrifft“, schreiben die Kirchenvorstandsvorsitzende und die Pfarrerin.
Die Gemeinde ist am 19. März, zum Gottesdienst um 10 Uhr und ab 11 Uhr zur Gemeindeversammlung in der Andreaskirche, Eichendorffring 127a, 35394 Gießen, eingeladen. Dort will sich der Kirchenvorstand den Fragen der Mitglieder über die Entscheidung und zur Zukunft der Gemeindearbeit und des Gottesdienstortes stellen.
Gottesdienste auch in benachbarter katholischer Kirche
Gottesdienste der evangelischen Gemeinden im Gießener Osten finden seit über einem Jahr auch in der katholischen Sankt Thomas Morus-Kirche in der Grünberger Straße statt. Das Gemeindebüro der Wicherngemeinde ist im vergangenen Jahr in das Gemeindehaus der Luthergemeinde am Lutherberg gezogen. Gemeindegruppen treffen sich in den Räumen der nahen Andreas- und Luthergemeinde. Den Verantwortlichen sei bewusst, dass für viele Menschen in Gießen die Wichernkirche „Heimat und Teil unserer Lebensgeschichte“ war, heißt es in dem Brief. Viele wurden hier getauft, konfirmiert oder getraut. Vor mehr als sechzig Jahren habe die damals neu entstandene Wicherngemeinde um den Bau der 1963 eingeweihten Wichernkirche gekämpft, viel Engagement und auch finanzielle Mittel dafür aufgebracht.
Gemeinden schrumpfen
Die Entscheidung zum Verkauf wurde auch vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels und der damit verbundenen kirchlichen und Bevölkerungsentwicklung getroffen. Die Mitgliederzahlen der Evangelischen Kirche sind rückläufig. Gesellschaft und Kirche und damit auch das Gemeindeleben haben sich nach einer Wachstumsphase nach dem 2. Weltkrieg seit den 70er bis 80er Jahren stark verändert, schreiben Brita Ratzel und Pfarrerin Löytynoja. 1980 gehörten noch 76.850 Kirchenmitglieder zum Evangelischen Dekanat Gießen. Im Jahr 2020 waren es nur noch ca. 50.000, ein Rückgang um 35 Prozent. Auch in der Wicherngemeinde gehen die Zahlen trotz der neuen Wohngebiete Dulles- und Marshall-Siedlung oder Alter Flughafen zurück. Zusammen hatten die Wicherngemeinde sowie die Luther- und die Andreasgemeinde, die einen Nachbarschaftsraum bilden, 2021 noch 5.120 Mitglieder. Für 2030 sind noch knapp 4.000 Mitgliedern prognostiziert.
Wicherngemeinde trennt sich von Turm und Gemeindehaus
Februar 2022
Das Gemeindehaus und der baulich darin integrierte Turm der Evangelischen Wichernkirche im Gießener Osten werden verkauft und das freiwerdende Grundstück für das angrenzende Neubaugebiet Philosophenhöhe genutzt. Die seit August 2021 wegen Einsturzgefahr des Daches gesperrte Wichernkirche wird dagegen vorerst weder aufgegeben noch saniert.
Über die Zukunft der 1963 eingeweihten Kirche sollen nach dem Wunsch des Kirchenvorstands der Wicherngemeinde alle drei evangelischen Gemeinden Andreas, Luther und Wichern gemeinsam entscheiden. Sie bilden im Gießener Osten einen sogenannten Kooperationsraum. Darüber wurden jetzt die Gemeindemitglieder im gemeinsamen Gemeindebrief der Andreas- und der Wicherngemeinde informiert.
Mit dem Verkauf des Gebäudes reagiert die Gemeinde auf den allgemeinen Rückgang der Kirchenmitgliedszahlen. Allein kann die Gemeinde die Kosten für ein eigenes Gemeindehaus nicht mehr aufbringen, erklärt Pfarrer Johannes Lohscheidt von der Wicherngemeinde. Außerdem trägt sie damit der erforderlichen Reduzierung kirchlicher Gebäude Rechnung. Alle Gemeinden in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) sind aufgefordert, über die Reduzierung der Gebäude bzw. deren Nutzung mit Nachbargemeinden nachzudenken und sich zusammenzuschließen. Damit sollen Kosten eingespart und Ressourcen besser für die Gemeindearbeit genutzt werden.
Grundstück für das neue Stadtviertel
Außerdem, so Johannes Lohscheidt, „können wir so mit dazu beitragen, dass unser Grundstück am Trieb sinnvoll in das neue Stadtviertel eingegliedert werden kann“. Die Gemeindemitglieder werden am Ostermontag Gelegenheit haben, symbolisch von ihrem Gemeindehaus Abschied zu nehmen. „Wir wollen eine große Menschenkette um das Gemeindehaus bilden und unter dem Motto ‚Mit schwerem Herzen‘ in Andacht und Gebet uns vom Gemeindehaus verabschieden“, teilt Pfarrer Lohscheidt mit. Das Gemeindebüro ist bereits in das Gemeindehaus der Luthergemeinde am Lutherberg gezogen. Auch Gemeindegruppen werden sich künftig in den Räumen der Andreas und Luthergemeinde treffen.
Gottesdienste in der benachbarten katholischen Kirche
Gottesdienste feiert die Gemeinde wegen der Kirchensperrung seit dem 1. Advent in der nahen katholischen Kirche St. Thomas Morus an der Grünberger Straße. Der Pfarrer erwartet einen langwierigen Entscheidungsprozess über die Zukunft der Wichernkirche. Nach landeskirchlichen Vorgaben habe im Gießener Osten ein gemeinsamer Gebäudeplan aufgestellt werden müssen. Deswegen habe man, so Lohscheidt, die Andreas- und die Luthergemeinde gebeten, eine „engere gemeindeverwaltende Verbindung“ mit der Wicherngemeinde einzugehen und gemeinsam die Entscheidung über die Kirche zu treffen. Vorbild bei der Zusammenarbeit sei die neue Gesamtkirchengemeinde Gießen Mitte aus den Gemeinden Lukas und Pankratius.
Dach der Wichernkirche ist nicht mehr sicher
Die Dachkonstruktion der 1963 eingeweihten Kirche ist nach einem von der Gemeinde in Auftrag gegebenen Gutachten nicht mehr sicher. Seit vielen Jahren dringt durch das Dach Wasser in die Kirche ein und hat im Innern, vor allem aber im Dach bereits erhebliche Schäden hervorgerufen.Das Baugutachten hatte darüber hinaus aber ergeben, dass tragende Teile der hölzernen Dachkonstruktion durch jahrelangen Kontakt mit Feuchtigkeit porös geworden sind. Die Sicherheit des Daches bei Sturm oder Schneefall konnte nicht mehr gewährleistet werden.
Weitere Bausorgen
Sorgen bereiten auch andere kirchliche Gebäude im Gießener Raum. Das schreibt der Vorsitzende des gemeinsamen Kooperationsausschusses der drei Gemeinden, Marko Fuhr, der auch im Kirchenvorstand der Luthergemeinde ist, in deren Gemeindebrief. Das Gemeindezentrum der Andreasgemeinde im Eichendorffring bedürfe ebenfalls der baulichen Sanierung. Gleichzeitig benötigt die Kita der Gemeinde, eine der größten Kindertageseinrichtungen in Gießen, deutlich mehr Platz. Ziel aller Überlegungen sei es Gebäude zu konzentrieren, um finanzielle und personelle Mittel für die inhaltliche Arbeit bereitzustellen. „Unsere Aufgabe als Kirche ist es, sich um die Menschen und deren Bedarfe zu kümmern. Je weniger Zeit und Geld wir in Zukunft für die Gebäude aufwenden müssen, umso mehr Ressourcen haben wir in Zukunft für diakonische und missionarische Aufgaben“, so Fuhr. Langfristig, so der Wunsch, soll am Lutherberg ein neues Gemeindezentrum für die Evangelische Kirche im Gießener Osten entstehen, welches energetisch nachhaltig ist und sich in der vielfältigen Nutzung variabel anpassen lässt.
Wichernkirche geschlossen
Juli 2021
Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg ist in Gießen eine evangelische Kirche wegen Baufälligkeit geschlossen worden. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau verfügte die Schließung der Wichernkirche, an der Kreuzung Fröbelstraße/Trieb, im Gießener Osten wegen des einsturzgefährdeten Daches.
Das Gebäude bleibt verschlossen und die Gemeinde darf auch keine Gottesdienste mehr darin feiern. Die Dachkonstruktion der 1963 eingeweihten Kirche ist nach einem von der Gemeinde in Auftrag gegebenen Gutachten nicht mehr sicher. Seit vielen Jahren dringt durch das Dach Wasser in die Kirche ein und hat im Innern, vor allem aber im Dach bereits erhebliche Schäden hervorgerufen. Zuletzt sah sich die Gemeinde genötigt, die Orgel mit einem Zelt vor Feuchtigkeit zu schützen.
Einsturzgefahr bei Sturm und Schnee
Das Baugutachten hatte darüber hinaus aber ergeben, dass tragende Teile der hölzernen Dachkonstruktion durch jahrelangen Kontakt mit Feuchtigkeit porös geworden sind. Die Sicherheit des Daches bei Sturm oder Schneefall konnte nicht mehr gewährleistet werden. „Es handelt sich bei der Dachkonstruktion um die gleich Art wie bei dem 2006 unter einer Schneelast eingestürzten Dach der Eislaufhalle in Bad Reichenhall, die auf tragische Weise Menschenleben gefordert hat“, berichtet der Pfarrer der Wicherngemeinde, Johannes Lohscheidt. Deswegen will die Kirche keinerlei Risiko eingehen.
Gestiegene Holzpreise werden zum Problem
In einem ersten Schritt werden die Verblendung des Gebälks im Innern geöffnet und die Tragkonstruktion penibel untersucht. Vom Ergebnis hängt ab, ob das Dach total saniert werden muss oder in Teilen ausgebessert werden kann. Nach vorläufigen Schätzungen wird die Sanierung bis zu 750.000 Euro kosten. Dabei ist die dramatische Preissteigerung bei Bauholz in diesem Jahr noch nicht einkalkuliert. „Außerdem wird die Sanierung wahrscheinlich lange auf sich warten lassen, weil im Moment die Baubetriebe volle Auftragsbücher haben“, klagt der junge Pfarrer, der seit drei Jahren in der Wicherngemeinde ist.
Kooperation mit Katholiken
Derzeit vertritt Lohscheidt zusätzlich in der nahen, am Eichendorffring gelegenen Andreasgemeinde Pfarrerin Wibke Eßbach, die in Elternzeit ist. Gottesdienste finden vorläufig im Gemeindehaus der Wicherngemeinde aber auch in der benachbarten katholischen Kirche St. Thomas Morus statt. „Es ist ein Segen, dass wir seit einigen Jahren gute ökumenische, also überkonfessionelle Beziehungen zu der katholischen Gemeinde haben“, schwärmt Johannes Lohscheidt. Für Hans-Joachim Wahl, Katholischer Dekan in Gießen und Gemeindepfarrer von St. Thomas Morus, war gleich nach der Schließung abgemachte Sache, dass in der Kirche auch evangelische Gottesdienste gefeiert werden. So wird der neue Kirchenvorstand der Wicherngemeinde im August feierlich in der benachbarten katholischen Kirche ins Amt eingeführt.
Zusammenwachsen dreier evangelischer Gemeinden im Gießener Osten
Glück im Unglück ist auch, dass die Wicherngemeinde seit gut einem Jahr eng mit den benachbarten Gemeinden Andreas und Luther in einem sogenannten „Kooperationsraum“ zusammenarbeitet und in der jetzigen Situation nicht allein dasteht. Schon seit vielen Jahren arbeiten die Gemeinden an verschiedenen Schwerpunkten zusammen, doch „mit dem im Juni 2020 vertraglich vereinbarten Kooperationsraum wurden die Themen der Zusammenarbeit auch vertraglich geregelt, etwa für gemeinsame Gottesdienste, Konfirmandenarbeit und Erwachsenenbildung“, erläutert die Vorsitzende des Kirchenvorstands der Wicherngemeinde, Antje Desgroseilliers, das Zusammenwachsen der evangelischen Gemeinden im Gießener Osten.
Die Kirchengemeinden und ihre Leitungen bleiben weiterhin eigenständig. Doch Pfarrerin Sonja Löytynoja (Luthergemeinde) und Johannes Lohscheidt sind für den ganzen Einzugsbereich der drei Gemeinden zuständig. Wie sie ihre Arbeitsschwerpunkte setzen, wird in einer Pfarrdienstordnung geregelt. „Ich bin für den Konfirmandenunterricht zuständig“, sagt Sonja Löytynoja, die seit drei Jahren Pfarrerin ist.