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Mehr als nur Lebensmittel

Die Tafel Gießen bietet auch Sozialberatung an

Alina Georg (2.v.r.) bietet in der Tafel Gießen Sozialberatung in Krisensituationen an

Die Tafel Gießen gibt nicht mehr nur Lebensmittel weiter, sondern bietet seit März für alle Nutzerinnen und Nutzer der Hilfseinrichtung eine kostenlose und freiwillige Sozialberatung an. Alina Georg (25) ist mit diesem Beratungsangebot - zunächst befristet für eineinhalb Jahre - betraut.

Möglich macht dies die evangelische Kirche, die Mehreinnahmen verzeichnen konnte, die sie aber nicht behalten wollte. Die im Herbst 2022 an Erwerbstätige auszahlte Energiepauschale (EPP) von 300 Euro war einkommensteuerpflichtig. Dadurch wurde auch Kirchensteuer auf diesen Betrag fällig. Mehreinnahmen für Menschen verwenden zu wollen, die von den hohen Heizkosten besonders betroffen sind, hatte die evangelische wie die katholische Kirche zugesichert. So kam auch die Tafel über das Diakonische Werk an die unerwartete Förderung.

Die Beratung ist Existenzsicherung

Alina Georg hat Sozialarbeit studiert, in einer Gemeinschaftsunterkunft in München gearbeitet, ist fit im Umgang mit Behörden und der Beantragung von Sozialleistungen. Ihre Arbeit versteht sie als „Existenzsicherung“. Für Menschen in Krisensituationen ist sie da, will sie stützen und weitere Hilfsangebote vermitteln. Manche Menschen wüssten nicht konkret, wo der Kern ihrer Probleme liegt, weil sie irgendwann die Übersicht verloren haben, überfordert sind, beispielsweise nach Jobverlust, Trennung oder langer Krankheit. Sie wissen nicht, wo sie anfangen und verweilen in der Erstarrung. 

Hier setzt die Beratung von Alina Georg an. Einige Klienten können ihre Probleme klar schildern, haben aber Schwierigkeiten, die zuständigen Stellen und Ämter herauszufinden. Andere wissen ihre Probleme nicht klar zu beschreiben, weil es eine Vielzahl schwieriger Aspekte sind. „Ich bin dann wie eine Sortiermaschine und definiere die Themen, wie ein Trichter, an dessen Ausgang die Probleme gebündelt formuliert sind.“

Sie denkt an eine junge Familie. Der Vater von zwei kleinen Kindern fiel wochenlang als Verdiener während einer Reha-Maßnahme aus und die Mutter war nicht berufstätig. Alina Georg hat Kontakt mit dem Jobcenter und der Wohngeldstelle geknüpft, um alle der Familie zustehende Leistungen ausschöpfen zu können und ihre Existenz zu sichern. Um die Kündigung der Wohnung der Familie abzuwenden konnte aus den EPP-Mitteln der Kirche einmalig und ausnahmsweise die Miete bezuschusst und eine kleine Barleistung für Kinderkleidung gegeben werden.

Beratungsbedarf haben Nutzer der Tafel immer

Alina Georg berät in ihrem Büro, steht mitunter aber auch an der Warenausgabe und manchmal entsteht ein Beratungsgespräch zwischen Tür und Angel. „Wir schreiben alle Menschen auf der Anfrageliste an, d.h. alle, die den Wunsch nach Aufnahme als Tafelbezieher geäußert haben.“ Dass Menschen, die um Lebensmittel bitten, auch einen dringenden Beratungsbedarf haben, liegt für sie nahe. So hat sie für Nutzer der Tafel bei der Suche nach Sozialwohnungen unterstützt, mit Wohnungsgesellschaften kommuniziert und den Betroffenen dabei geholfen, einen Wohnberechtigungsschein zu erlangen.

Noch kann sie in Tagesfrist Beratungstermine anbieten. Die Gespräche dauern etwa 30 Minuten. Manchmal ist das Problem vordergründig, beispielsweise ein kaputter Backofen. In dringenden Fällen können Darlehen beim Jobcenter o.ä. beantragt werden. Kniffeliger, aber nicht aussichtslos ist es, wenn vom sogenannten Regelbedarf kaum etwas übrig, um am Ende des Monats den Strom zu bezahlen.

Die kostenlose und freiwillige Sozialberatung der Tafel Gießen hilft bei Existenzsicherung, schwierigen Lebenslagen, dem Umgang mit Behörden, der Beantragung von Sozialleistungen und der Vermittlung zu weiteren Hilfsangeboten. Die Tafel Gießen ist eine Einrichtung der Diakonie. Die Beratung findet in der Regel in der Tafel Gießen, Leimenkauter Weg 59, 35398 Gießen, durch Alina Georg statt. Termine können telefonisch: 0171 788 111 50 oder per E-Mail alina.georg@diakonie-giessen.de vereinbart werden. 

Von diesem flankierenden Beratungsangebot hat Anna Conrad seit langem geträumt. Seit 20 Jahren arbeitet sie beim Diakonischen Werk; mittlerweile leitet sie die Tafel Gießen mit den Außenstellen Allendorf/Lumda, Lollar, Reiskirchen, Pohlheim und Linden-Leihgestern.

Derzeit erhalten rund 3.800 Menschen in etwa 1.000 Haushalten pro Woche Lebensmittel, die in Supermärkten übrig geblieben sind, darunter 1.400 Kinder unter 14 Jahren. Rund 650 Haushalte warten gegenwärtig auf einen Platz in der Tafel Gießen und den fünf Ausgabestellen. Die Tafel Gießen bietet Menschen nur übrig gebliebene Lebensmittel an. Wenn bestimmte Waren nicht da sind, gibt es keine. Der Grundsatz lautet, die Tafel unterstützt, sie versorgt nicht, das ist die Aufgabe des Staates.

Anna Conrad legt Wert darauf, dass sich die Tafel mit der Sozialberatung nicht zur Konkurrenz des bestehenden Hilfeleistungssystems entwickelt. „Die Tafel macht keine spezialisierte Schuldnerberatung oder Schwangerenberatung usw. wir vermitteln und sind mit allen etablierten Beratungsstellen des Diakonischen Werks vernetzt.“

"Menschen müssen befähigt werden, aus der Notsituation herauszutreten"

Eins steht für Anna Conrad und Alina Georg an. Grundbedürfnisse von Menschen müssen gestillt sein. Doch zugleich müssen Menschen befähigt werden, sich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen und nach Möglichkeiten und Perspektiven suchen zu können, aus der Notsituation herauszutreten. Dafür eignet sich die Tafel. „Die Menschen, die zu uns  kommen, um Obst, Gemüse oder Nudeln zu holen, vertrauen uns, haben bereits eine Hemmschwelle überwunden und müssen nicht woanders erneut eine Schwelle bei einer für sie anonymen Institution überschreiten.“


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